Die Erhebung des Rundfunkbeitrags steht erst dann mit Verfassungsrecht nicht mehr in Einklang, wenn das Gesamtprogrammangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags für die Monate Oktober 2021 bis März 2022. Sie macht geltend, ihr stehe ein Leistungsverweigerungsrecht zu, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein vielfältiges und ausgewogenes Programm biete und er der vorherrschenden staatlichen Meinungsmacht als Erfüllungsgehilfe diene. Damit fehle es an einem individuellen Vorteil, der die Beitragspflicht rechtfertige. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sein Berufungsurteil darauf gestützt, dass der die Erhebung des Rundfunkbeitrags rechtfertigende Vorteil allein in der individuellen Möglichkeit liege, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen zu können. Auf die Frage, ob strukturelle Defizite bei der Erfüllung des Funktionsauftrags vorlägen, komme es daher nicht an. Der Klägerin stehe die Möglichkeit einer Programmbeschwerde offen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht, weil es die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 u.a. – verkennt. Dieses Urteil stützt sich – wie durch die Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2023 – 1 BvR 601/23 – und vom 17. Juni 2025 – 1 BvR 622/24 – verdeutlicht wird – für die materiell-verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Beitragspflicht tragend darauf, dass der die Beitragserhebung rechtfertigende individuelle Vorteil in der Möglichkeit der Nutzung eines den Anforderungen des Funktionsauftrags entsprechend ausgestalteten Programms liegt. Dieser Funktionsauftrag besteht darin, Vielfalt zu sichern und als Gegengewicht zum privaten Rundfunk Orientierungshilfe zu bieten.
Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des § 2 Abs. 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages (RBStV) sieht allerdings eine wechselseitige Verknüpfung zwischen Beitragspflicht und Erfüllung des Funktionsauftrags nicht vor. Deshalb kann die Klägerin angebliche Defizite im Programm der Beitragspflicht nicht unmittelbar entgegenhalten. Auch Bestimmungen des Medienstaatsvertrages, die auf die Rundfunkbeitragspflicht Bezug nehmen, stellen eine solche Verknüpfung nicht her. Vielmehr strebten die Landesgesetzgeber mit dem Übergang von der Gebührenpflicht zur Beitragspflicht an, ein Erhebungs- und Vollzugsdefizit zu verhindern und den Verwaltungsaufwand für die Erhebung in einem Massenverfahren zu verringern. Deshalb haben sie sich bei der einfachrechtlichen Ausgestaltung von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Erhebung leiten lassen. Sie konnten im Vertrauen auf die zur Sicherung von Vielfalt und Ausgewogenheit geschaffenen Strukturen und Vorgaben von einer Prüfung der Erfüllung des Funktionsauftrags im Einzelfall absehen.
Die Klägerin kann der Durchsetzung ihrer Beitragspflicht auch kein subjektiv-öffentliches Recht auf Erfüllung des Rundfunkauftrags entgegenhalten. Ein solches Recht ergibt sich weder aus der Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG noch aus der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Rundfunkfreiheit.
Allerdings fehlt es an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Beitragspflicht des § 2 Abs. 1 RBStV, wenn das Gesamtprogrammangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt. Die Schwelle für eine Verletzung des Äquivalenzgebots ist jedoch hoch. Sie muss dem weiten Spielraum des Gesetzgebers bei Ausgestaltung einer Beitragspflicht Rechnung tragen und setzt daher ein grobes Missverhältnis zwischen Abgabenlast und Programmqualität voraus. Zudem ist es schwierig festzustellen, ob die gebotene Abbildung der Meinungsvielfalt und deren ausgewogene Darstellung im Gesamtprogrammangebot tatsächlich gelingt. Denn die programmliche Vielfalt und Ausgewogenheit ist ein Zielwert, der sich stets nur annäherungsweise erreichen lässt. Schließlich ist der grundrechtlich verbürgten Programmfreiheit Rechnung zu tragen. Diese berechtigt und verpflichtet die Rundfunkanstalten, die sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen – ergebenden Anforderungen an die Erfüllung des Rundfunkauftrags eigenverantwortlich sicherzustellen und anhand anerkannter Maßstäbe zu bestimmen, was der Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt.
Vor diesem Hintergrund ist die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags erst dann in Frage gestellt, wenn das aus Hörfunk, Fernsehen und Telemedien bestehende mediale Gesamtangebot aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter über einen längeren Zeitraum evidente und regelmäßige Defizite hinsichtlich der gegenständlichen und meinungsmäßigen Vielfalt erkennen lässt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2018 die sachliche Rechtfertigung der Rundfunkbeitragspflicht für das damalige öffentlich-rechtliche Programmangebot nicht in Zweifel gezogen. Damit hat es zu diesem Zeitpunkt eine verfassungsrechtliche Äquivalenz zwischen Beitragspflicht und Programmqualität bejaht. Ob sich hieran inzwischen etwas geändert hat, obliegt der tatrichterlichen Würdigung, ohne dass den Rundfunkanstalten insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht. In den Blick zu nehmen ist eine längere Zeitspanne von nicht unter zwei Jahren, die mit dem in dem angefochtenen Bescheid abgerechneten Zeitraum endet. Bietet das klägerische Vorbringen – in aller Regel durch wissenschaftliche Gutachten unterlegt – hinreichende Anhaltspunkte für evidente und regelmäßige Defizite, hat ein Verwaltungsgericht dem nachzugehen. Bestätigt sich dies im Rahmen der Beweiserhebung zur Überzeugung des Gerichts, so hat es die in § 2 Abs. 1 RBStV verankerte Rundfunkbeitragspflicht dem Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit vorzulegen.
Der Verwaltungsgerichtshof ist auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung dieser Frage nicht nachgegangen. Da dem Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz eine Sachverhaltsaufklärung hierzu verwehrt ist, war der Rechtsstreit an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Allerdings erscheint es nach dem bisherigen tatsächlichen Vorbringen derzeit überaus zweifelhaft, ob die Klägerin eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wird erreichen können.
Quelle: BVerwG 6 C 5.24 – Urteil vom 15. Oktober 2025
Vorinstanzen:
VG München, VG M 6 K 22.3507 – Urteil vom 21. September 2022 –
VGH München, VGH 7 BV 22.2642 – Urteil vom 17. Juli 2023 –