Systematischer Betrug beim Kindergeld

6. Mai 2019

Von systematischen Betrug beim Bezug von Kindergeld durch EU-Bürger in bestimmten Fällen hat Ministerialdirigentin Daniela Lesmeister, Abteilungsleiterin Polizei im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen, berichtet. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses, die von der Vorsitzenden Bettina Stark-Watzinger (FDP) geleitet wurde, berichtete Lesmeister am Montag, dass EU-Bürger bereits dann einen Anspruch auf Kindergeld hätten, wenn der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland liege.

Bei organisierten Betrugsdelikten würden kinderreiche Familien aus dem EU-Ausland dort angeworben und nach Deutschland transportiert. „Hier werden sie unter anderem in Häusern untergebracht, die sich in einem desolaten baulichen und hygienischen Zustand befinden. Oftmals sind hier nicht einmal die absoluten gefahrenabwehrrechtlichen Mindeststandards, etwa in brandschutzrechtlicher Hinsicht, erfüllt“, berichtete Lesmeister. In den Schrottimmobilien seien Strom und Wasser abgestellt, es gebe Rattenbefall. Für eine Person stünden gerade fünf Quadratmeter zur Verfügung. Mitten in Deutschland würden somit Menschen und insbesondere Kinder unter Bedingungen leben, die nicht nur rechtswidrig, sondern „schlichtweg menschenunwürdig“ seien. Das Rechtssystem lasse immer noch zu viel Freiraum für lukrative kriminelle Geschäftsmodelle, die auf maximalen Profit durch systematischen Betrug, verbunden mit minimalem Kostenaufwand für Unterbringung und Verpflegung der Leistungsbezieher, aufbauen würden.

Gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme von Kindergeld will die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf vorgehen und unter anderem auch illegale Beschäftigung schärfer bekämpfen. Diesem Ziel dient der Entwurf eines Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (19/8691). Vorgesehen ist, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls (FKS) nicht nur Fälle von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit prüfen kann, bei denen tatsächlich Dienst- oder Werkleistungen erbracht wurden, sondern in Zukunft auch die Fälle prüfen soll, bei denen Dienst- oder Werkleistungen noch nicht erbracht wurden, sich aber bereits anbahnen. Prüfen soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch die Fälle, in denen Dienst- oder Werkleistungen nur vorgetäuscht werden, um zum Beispiel unberechtigt Sozialleistungen zu erhalten. Zusätzliche Kompetenzen sollen die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in die Lage versetzen, Ermittlungen im Bereich Menschenhandel im Zusammenhang mit Beschäftigung, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft zu führen, um so die Strafverfolgung in diesem Deliktfeld weiter zu stärken. Besonders ins Visier nehmen soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch sogenannte Tagelöhner-Börsen.

Die Präsidentin der Generalzolldirektion, Colette Hercher, bestätigte in ihrer Stellungnahme, dass oft in organisierten Strukturen die jeweiligen Voraussetzungen für den Bezug von Sozialleistungen fingiert würden. Der Kindergeldbezug werde dabei auch an Scheinarbeitsverhältnisse und gefälschte Dokumente, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland belegen sollten, geknöpft. Ebenfalls mittels Täuschungen und Fälschungen, die eine vermeintliche Selbständigkeit belegen sollten, werde vermehrt ein unberechtigter Bezug von weiteren Sozialleistungen erreicht. Der Schaden für die Sozialversicherung sei immens. Den Gesetzentwurf bezeichnete Hercher als „rundes Paket“.

Karsten Bunk, Leiter der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, ging auf eine von mehreren geplanten Neuregelungen ein, nach der neu zugezogene Unionsbürger während der ersten drei Monate von Kindergeldleistungen ausgeschlossen werden sollen, sofern keine inländischen Einkünfte erzielt werden. Damit könne der Gefahr von Leistungsmissbrauch begegnet werden und Überzahlungen könnten maßgeblich verringert werden. „Die Regelung macht Sinn“, so Bunk.

Auf schwere Bedenken stieß dieser Gesetzesvorschlag hingegen beim Deutschen Anwaltverein (DAV). Mit der Dreimonatsfrist werde der unionsrechtlich garantierte Anspruch auf Kindergeld für Staatsangehörige eines EU Mitgliedstaates, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würden, in Europa rechtswidriger Weise beschnitten, kritisierte Professor Hermann Plagemann für den DAV. Auch andere geplanten Maßnahmen beurteilte der Anwaltverein kritisch. Weder bedürfe es zum Schutze des Sozialstaates noch zum Schutze der Rechte von Betroffenen noch zum Schutze des Wettbewerbs einer solchen Machtfülle bei der FKS. Der Bundesverband der deutschen Lohnsteuerhilfevereine äußerte die Sorge, dass durch die vorgesehenen Einschränkungen auch Eltern benachteiligt werden könnten, bei denen kein „Missbrauch“ vorliege und der Bezug des Kindergelds sachgerecht wäre. Ebenso wie der Deutsche Anwaltverein sah auch die Diakonie Deutschland einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnte den dreimonatigen Ausschluss von Kindergeldleistungen für Angehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union als „unbegründet, kontraproduktiv und wahrscheinlich auch europarechtswidrig“ ab.

Der DGB begrüßte, dass die Bemühungen gegen Schwarzarbeit, Arbeitsausbeutung, Menschenhandel und illegale Beschäftigung vorzugehen, verstärkt werden sollen. Dies müsse allerdings durch eine entsprechende Personalausstattung unterlegt werden. Auch die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) erklärte, die derzeitigen Befugnisse der FKS seien nicht mehr den aktuellen Herausforderungen bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung gewachsen und damit nicht mehr zeitgemäß im Hinblick auf die Auftragsanbahnung über Tagelöhner- und Onlinebörsen. Eine personelle Stärkung der FKS sei unabdingbar. Die Organisation bezifferte den personellen Mehrbedarf auf 6.500 Stellen. Unterstützt wurden die Forderungen nach einem Personalaufbau von der Deutschen Steuergewerkschaft. Dem Vorwurf der Bürokratieausweitung hielt die Organisation entgegen, es gehe hier schlichtweg um Kriminalität, die zu verfolgen, aufzuklären und gegebenenfalls abzuurteilen sei. Die zunehmende bürokratische Belastung war vom Präsidenten des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, beklagt worden. Diese Belastung betrage inzwischen 50 Milliarden Euro. Für den Mittelstand gebe es über 10.000 Informationspflichten. Und mit diesem Gesetzentwurf kämen weitere Informationspflichten hinzu.

Grundsätzlich setzte sich Professor Gerhard Bosch (Universität Duisburg-Essen) in seiner Stellungnahme mit den Strukturen beim Zoll auseinander. Der Zoll verfüge mit der FKS und der Zollfahndung über zwei parallele Vollzugsdienste, die unterschiedlichen Zentraldirektionen zugeordnet seien, obwohl sie vielfach ähnliche Aufgaben hätten. Bosch vermutete, dass die Patchwork-Organisation des Zolls einen effizienten Mitteleinsatz verhindere. Außerdem sei der Personalaufbau nicht gelungen. „Dem Zoll laufen die Leute weg“, sagte Bosch. Das sei ein Krisenphänomen.

Quelle: Deutscher Bundestag – HIB


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