Kommentierte Gerichtsentscheidungen – Teil 24

4. Juni 2020

Verwaltungsgericht Leipzig, Beschluss vom 18. Mai 2020 (5 L 211/20.A). Ein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung (§ 47 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 49 Abs. 2 AsylG) lässt sich nicht aus § 1 SächsCoronaSchVO ableiten.

Die Grundsätze des § 1 SächsCoronaSchVO finden zwar bei Asylerstaufnahmeeinrichtungen ebenfalls Anwendung, wenn auch der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung sich nicht als ein Aufenthalt im öffentlichen Raum im Sinne des § 2 SächsCoronaSchVO darstellt. Es handelt sich hier um einen Hausstand im Sinne der SächsCoronaSchVO, in den auch auf der Grundlage des Gesetzes nicht eingegriffen werden soll.

In Hotels und Beherbergungsbetrieben ist nach wie vor die Belegung von Schlafräumen mit mehreren Angehörigen des eigenen Hausstandes und darüber hinaus Angehörigen eines weiteren Hausstandes gestattet. Wenn ein Antragsteller keiner Risikogruppe angehört, die eines besonderen, über die allgemein geltenden Standards hinausgehenden Schutzes bedarf, dann ist ihm der Aufenthalt in einem Zweibettzimmer einer Aufnahmeeinrichtung zumutbar, sofern dort die zum Schutz der Bewohner nach der SächsCoronaSchVO gebotenen Auflagen umgesetzt werden.

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. Mai 2020 (L 11 AS 228/20.B.ER):

Ein sog. Scheinvertrag, aus dem nicht glaubhaft gemachte, tatsächliche Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) hervorgehen, liegt vor, wenn die Bestimmungen dieses dem Jobcenter vorgelegten Papiers im Hinblick auf das Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Mietern und dem Vermieter sowie auf die von den Antragstellern erwartete Übernahme der Unterkunftskoten durch den SGB II-Träger zustande kamen.

Dies gilt gerade dann, wenn sich aus dieser Vereinbarung Rückschlüsse weder auf die tatsächliche Wohnungsgröße noch auf die von den Antragstellern tatsächlich zu begleichenden Kosten für Unterkunft und Heizung ziehen lassen.

In dieser Situation hat das Jobcenter aber der Obliegenheit zu entsprechen, die fortlaufend unterkunftsbezogen entstehenden Verbrauchskosten, soweit sie entweder antragstellerseitig glaubhaft gemacht worden oder offensichtlich sind, zumindest vorläufig gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzuerkennen. Hier handelt es sich um die Kosten der Wasserversorgung, für die Beheizung und Warmwasserversorgung sowie die Müllentsorgung. Diese Aufwendungen sind für die weitere Bewohnbarkeit der Unterkunft insbesondere bei einer Familie mit vier Kindern unabdingbar.

Aufwendungen für die Grundsteuer und die Wohngebäudeversicherung stellen allerdings keine Verbrauchskosten dar. Hier ist eine Anerkennung entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur auf der Grundlage eines wirksam zustande gekommenen Mietvertrags möglich.

BSG, Urteil vom 27. März 2020 (B 10 ÜG 4/19.R):

§ 198 Abs. 3 GVG stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder an den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge, statuiert hier insbesondere auch kein Schriftformerfordernis. Eine Verzögerungsrüge kann auch mündlich beim Gericht des Ausgangsverfahren erhoben werden. Sie hat den Charakter einer „Mahnung“ an den beim Ausgangsgericht mit der konkreten Rechtssache befassten Richter, entweder eine drohende Verzögerung des Verfahrens zu verhindern oder eine bereits real eingetretene Verzögerung zu beseitigen und das Gerichtsverfahren einem zügigen Abschluss zuzuführen.

Wenn sich das Verfahren bei einem höheren Gericht im Instanzenzug weiter verzögern sollte, bedarf es der Äußerung einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Satz 5 GVG).
Im Rahmen einer Verzögerungsrüge hat z. B. ein Kläger lediglich deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass er mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist und eine Beschleunigung des Verfahrens verlangt.

Eine Verzögerungsrüge hat von einer Prozesspartei nicht als eine solche ausdrücklich bezeichnet zu werden, sondern es muss aus einer entsprechenden Äußerung einzig hervorgehen, dass z. B. der Kläger die Dauer des gerichtlichen Verfahrens nicht akzeptiert.
Eine Begründungspflicht geht aus § 198 GVG nicht hervor.

Die Verzögerungsrüge stellt eine materielle Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, eine haftungsbegründende Obliegenheit des (späteren) Entschädigungsklägers dar.

Die Verzögerungsrüge soll im jeweiligen Einzelfall eine „konkret-präventive Beschleunigungswirkung“ auf das Ausgangsverfahren entfalten und dazu beitragen, dass sich keine (weitere) entschädigungspflichtige Verzögerung einstellt. Es handelt sich hier um eine „Prozesshandlung eigener Art“, die allerdings einer hinreichenden verfahrensbezogenen Konkretisierung bedarf.

Von einem Kläger allgemein gehaltene Formulierungen sind hier nicht akzeptabel. Dies gilt gerade dann, wenn beim Ausgangsgericht mehrere von der jeweils gleichen Person erhobene Klagen anhängig sind.

In einer Verzögerungsrüge im Sinne des § 198 Abs. 3 GVG hat deshalb ein mit dem Aktenzeichen benanntes oder nach dem Inhalt der Erklärung klar bestimmbares Verfahren beim Ausgangsgericht näher bezeichnet zu werden.
Nur in diesem Fall kann diese Äußerung ihre bezweckte Warn- und Beschleunigungsfunktion entfalten.

BSG, Urteil vom 12. Dezember 2019 (B 14 AS 26/18.R):

Die Angemessenheit der mit der Nutzung von Eigentum zum eigenen Wohnen verbundenen Aufwendungen ist anhand der Kosten zu beurteilen, die für Mietwohnungen angemessen sind. Die Frage nach der Angemessenheit von Unterkunftskosten ist für Mieter und Hauseigentümer nach einheitlichen Kriterien zu beantworten.

Zu den im Rahmen der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II vom Jobcenter anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft zählen bei Eigenheimen insbesondere die zu dessen Finanzierung aufzubringenden Schuldzinsen, dem Grundsatz nach aber nicht Tilgungsleistungen.

Im Hinblick auf den im SGB II ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses „Wohnen“ sind in eng begrenzten Fällen Ausnahmen von diesem Grundsatz angezeigt, z. B. bei der Erhaltung von Wohneigentum, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II bereits weitgehend abgeschlossen und dessen Erwerb außerhalb des Leistungsbezugs erfolgt ist.

In dieser speziellen Situation tritt der Aspekt des Vermögensaufbaus aus Mitteln der Existenzsicherung gegenüber dem vom SGB II ebenfalls verfolgten Ziel, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, zurück.

Entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind bei Eigentümern eigengenutzter Immobilien nur diejenigen Zahlungsverpflichtungen für den jeweiligen Monat als Bedarf zu berücksichtigen, die in diesem Zeitabschnitt als fällige Zahlungen in Bezug auf das selbst bewohnte Wohneigentum zu erfüllen sind.

Ratenzahlungsverpflichtungen aufgrund einer Zahlungsvereinbarung, die nach einem gekündigten Immobiliendarlehensvertrag mit dem Darlehensgeber abgeschlossen wurden, um die damals fällige Restschuld sowie auflaufende Zinsen ratenweise zurückzuzahlen, sind vom Jobcenter in den späteren Zahlungsmonaten nicht als ein unterkunftsbezogener Bedarf anzuerkennen.
In diesen späteren Monaten dienen diese Zahlungen nicht mehr der Erfüllung laufender Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag, der aus Anlass des Erwerbs des Wohneigentums abgeschlossen wurde, sondern einzig der Tilgung bereits früher fällig gewordener (Alt-) Schulden.

Für diese Verbindlichkeiten ist eine Differenzierung zwischen der Anerkennung von laufenden Zinsen als Bedarf und der in der Regel zu verneinenden Anerkennung der Tilgungsleistung aufgrund der Gesamtschuld aus dem gekündigten Darlehensvertrag nicht möglich.
Diese Zahlungsverpflichtungen resultieren aus nicht mehr bestehenden Verträgen, die zeitlich vor dem laufenden Bezug von Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II sowohl entstanden als auch fällig geworden waren. Es handelt sich hier nur mittelbar um eine Eigenheimfinanzierung.

Verwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 12. Mai 2020 (5 L 399/20):

Zur Bejahung der Anwendbarkeit des § 49 Abs. 2 AsylG im Fall eines in einer Zentralen Unterbringungseinrichtung im Sinne der §§ 44 ff., 47 Abs. 1 AsylG untergebrachten Asylbewerbers aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, die eine Beendigung der Wohnverpflichtung in dieser Aufnahmeverpflichtung zum Zwecke des Schutzes vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 als ein gewichtiger, unter Berücksichtigung des Infektionsschutzrechts anzuerkennender Belang.

Es würde nicht nur einen Wertungswiderspruch zur CoronaSchutzVO des Landes Nordrhein-Westfalen und den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu Kontaktbeschränkungen und guter Händehygiene darstellen, wenn der Bereich der Asylbewerberunterkünfte in anderer Weise behandelt werden würde, sondern vor allem auch dem zentralen Sinn und Zweck dieser Bestimmungen und Empfehlungen zuwiderlaufen, nämlich der Verhinderung der Ausbreitung dieses Coronavirus.
Dies gilt gerade dann, wenn in der Aufnahmeeinrichtung die Einhaltung des Mindestabstands zwischen zwei Personen von 1,5 m aufgrund der dort beengten Wohnverhältnisse nicht möglich ist, sowie die Sanitäranlagen und weitere Gemeinschaftseinrichtungen mit anderen Bewohnern geteilt zu werden haben, und der Antragsteller infolge seiner Betroffenheit mit chronischer Hepatitis B einer als besonders vulnerabel einzuschätzenden Personengruppe angehört.

Sozialgericht Neuruppin, Beschluss vom 23. März 2020 (S 27 AY 3/20.ER):

Ein Verstoß gegen die aus § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hervorgehende Obliegenheit eines jeden Ausländers, an der Beschaffung des Identitätspapiers und der Beibringung der für die Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit erforderlichen Urkunden mitzuwirken, um bestehende Ausreisehindernisser zu beseitigen, führt grundsätzlich bei wegen einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG anspruchsberechtigten Personen zu einer Anspruchseinschränkung entsprechend § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG.
Der Nachweis einer erfolglosen Botschaftsvorsprache dokumentiert hier keine ausreichenden Bemühungen.

Bedingt durch den Ausbruch der sog. Corona-Pandmie und den anlässlich dieser Gefährdungslage verfügten, durchgreifenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens ist es einem nur noch geduldeten Ausländer, der seine Unterkunft möglichst nicht verlassen soll, objektiv unmöglich, die hier erforderlichen Mitwirkungshandlungen auszuführen.

Für die Dauer dieses Ruhens dieser Mitwirkungspflichten entfällt auch die an die Verletzung dieser Obliegenheit geknüpfte finanzielle Leistungseinschränkung.

Verwaltungsgericht Leipzig, Beschluss vom 22. April 2020 (3 L 204/20.A):

Die Beendigung der Wohnverpflichtung des Antragstellers gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist nicht nur aus Gründen der Seuchenprävention und damit einem öffentlichen Interesse (§ 49 Abs. 2 AsylG), sondern auch zum Schutz des Asylbewerbers selbst vor einer Ansteckung mit dem Virus SARS-CoV-2 geboten.

„Wo immer möglich“ und „in allen Lebensbereichen“ ist die Kontaktbeschränkung nach § 1 SächsCoronaVO einzuhalten. Dies gilt auch in Bezug auf Asylbewerberunterkünfte. Alles andere würde dem eigentlichen Sinn und Zweck dieser CoronaVO zuwiderlaufern, eine Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu bewirken.

Asylsuchende Personen sind bedingt durch erlittene Fluchtbelastungen und der Neuorientierung in einerm fremden Land empfänglicher gegenüber gefährlichen Infektionskrankheiten als Inländer.

Die örtliche Organisation des Aufenthalts in einer Aufnahmeeinrichtung genügt nicht den Anforderungen des § 1 SächsCoronaVO, wenn ein Asylbewerber mit einer weiteren Person in einem zwei mal zwei Meter großen Zimmer untergebracht ist, und dort sanitäre Anlagen wie die Küche zur gemeinsamen Nutzung von insgesamt 50 Personen vorgesehen sind.

Verwaltungsgericht Chemnitz, Beschluss vom 30. April 2020 (4 L 224/20.A):

Die Aufhebung der Verpflichtung des Asylbewerbers, in der Erstaufnahmeeinrichtung nach § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu wohnen, dient nicht nur der Prävention zur Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und damit einem öffentlichen Interesse (§ 49 Abs. 2 AsylG), sondern auch dem Schutz des Antragstellers vor einer Ansteckungh mit dem Virus und damit einem anerkennenswerten, erheblichen Belang.

Im Bereich der Erstaufnahmeeinrichtung ist es der verantwortlichen Behörde nicht möglich, die Grundsätze des § 1 SächsCoronaVO, und hier den Mindestabstand von 1,5 Metern im Besonderen, einzuhalten. Eine Unterbringung von bis zu fünf Personen in einem ca. 16 bis 17,5 qm großen Zimmer bei einer Mitbenutzung von sechs Toiletten und sechs Duswchen von ca. 100 Asylbewerber/innen und ein Fehlen einer separaten Kochgelegenheiten spricht dagegen.

Verwaltungsgericht Dresden, Beschluss vom 24. April 2020 (11 L 269/20.A):

Zur Bejahung eines hinreichend dargelegten Anspruchs einer hochschwangeren Antragstellerin auf Beendigung der Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG) aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge.

Diese Antragstellerin ist aufgrund ihrer Schwangerschaft sowie auch ihrer Schwangerschaft bei unmittelbar bevorstehender Entbindung unstreitig zu einer Personengruppe, die als besonders vulnerabel aufzufassen ist und bei der ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, zu zählen.

Verwaltungsgericht Dresden, Beschlusds vom 29. April 2020 (13 L 270/20.A):

Zur Beendigung der Wohnpflicht der Antragstellerin in der Erstaufnahmeeinrichtung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG) entsprechend § 49 Abs. 2 AsylG wegen Schwangerschaft sowie der akuten Betroffenheit mit einem psychiatrischen Krankheitsbild bei Suizidgefährdung. Eine Verpflichtung zu einem weiteren Wohnen in der Aufnahmeeinrichtung erhöht das Infektionsrisiko.

Die Fürsorgepflicht der Zentralen Ausländerbehörde beschränkt sich hier nicht auf die ihr zur Verfügung stehenden Unterkünfte, sondern schließt eine enge Zusammenarbeit mit der kommunalen Ebene, damit möglichst rasch und problemlos einer dezentrale Unterbringung durchgeführt werden kann, ein.

Sozialgericht Münster, Beschluss vom 22. April 2020 (S 20 AY 4/20.ER):

Die Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG besteht nur dann, sofern Ausländer tatsächlich über einen Pass oder Passersatz, der der zuständigen Behörde vorgelegt zu werden hat, verfügen.

Wenn in tatsächlicher Hinsicht offen ist, ob im Bundesgebiet sich ständig aufhaltende Ausländer noch im Besitz ihrer Pässe sind, darf behördlicherseits weder eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht bejaht noch eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG verfügt werden.

In Fällen einer erwiesenen Passvernichtung bei gemäß § 1 Abs. 1 Nrn. 4 bis 6 AsylbLG anspruchsberechtigten Personen kann eine Anspruchseinschränkung enrtsprechend § 1a Abs. 3 AsylbLG in Betracht kommen.

Sozialgericht Halle, Beschluss vom 10. Juli 2019 (S 26 AS 627/19.ER):

Nur ein die Erstattung der von Jobcenter bereits erbrachten Leistungen verfügender Bescheid, der entweder zugleich mit der Festsetzung des zu erstattenden Betrags nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X oder aber innerhalb der Vier-Jahres-Frist des § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X zur Durchsetzung der behördlicherseits verfolgten Forderung ergeht, setzt gemäß § 52 Abs. 2 SGB X eine Verjährungsfrist von 30 Jahren – gerechnet ab der Rechtskraft des Durchsetzungsbescheids – in Gang.

Der SGB II-Träger hat somit neben dem Erstattungsbescheid hier stets noch fristgerecht einen weiteren Bescheid, nämlich einen auf die Durchsetzung der festgestellten Erstattungsansprüche gerichteten Verwaltungsakt, zu erlassen.

Sozialgericht Halle, Beschluss vom 10. Februar 2020 (S 14 AS 1974/19):

Eine Untätigkeitsverpflichtungsklage ist grundsätzlich ohne Rücksicht auf den Grund nach Ablauf der Sperrfrist (hier: gemäß § 88 Abs. 2 SGG) zulässig. An dieser Stelle entspricht es der Obliegenheit des SGB II-Trägers, derjenigen Person gegenüber, die den Widerspruch erhoben hat, bei einer Nichtbescheidung dieses Rechtsbehelfs z. B. eine Zwischenmitteilung zu machen, in der auf eine mögliche Verzögerung und die hiermit im Zusammenhang stehenden zureichenden Gründe i. S. d. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG hingewiesen wird.

Dies gilt gerade dann, wenn der Widerspruch bereits bei seiner Einlegung ausführlich begründet und die vom SGB II-Träger gesetzte Frist zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme im Widerspruchsverfahren antragstellerseitig gewahrt wurde.

Sozialgericht Halle, Beschluss vom 20. Februar 2020 (S 14 AS 2178/19.ER):

Eine Anmahnung der Bundesagentur für Arbeit eines vom Jobcenter im Wege der Erstattung bereits erbrachter Leistungen angeforderten Betrags stellt mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt nach § 31 Satz 1 SGB X dar.

Dem Schuldner soll hiermit lediglich letztmalig Gelegenheit gegeben werden, zur Abwendung der Einleitung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung die aufgelaufenen Zahlungsrückstände freiwillig zu begleichen.

Es handelt sich hier um eine Maßnahme der Vollstreckung, da bei einer fruchtlosen Wirkung dieser Mahnung sofort die zwangsweise Einziehung des geforderten Betrags veranlasst werden kann.

Gegen unberechtigte Vollstreckungsmaßnahmen von SGB II-Trägern besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Inanspruchnahme von sozialgerichtlichem Rechtsschutz. Entsprechendes liegt vor, wenn eine Mahnung mit Vollstreckungsankündigung erging, ohne dass eine vorherige Zahlungsaufforderung erfolgte.

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. April 2020 (L 8 AY 4720.B.ER):

Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG setzt insbesondere voraus, dass die Ausländerbehörde gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Nr. 5 AsylbLG anspruchsberechtigten Personen gegenüber die diese Klientel treffenden gesetzlichen Mitwirkungspflichten zur Beschaffung von Identitätspapieren (§ 48 Abs. 3 AufenthG) konkret aktualisiert hat, damit aus einer hier mangelhaften Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen gezogen werden können.
Der behördliche Verweis auf zuvor ergangene Aufforderungen allgemeinen Inhalts reicht hier nicht aus. § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG schreibt in diesem Sachzusammenhang eine besondere Hinweispflicht der Ausländerbehörde fest.

Darüber hinaus hat eine nichtdeutsche Person bei einem entsprechenden Willen zum Verlassen des Bundesgebiets in der Lage und aus Rechtsgründen verpflichtet, oder es muss ihr zumutbar sein, ein hier entgegen stehendes Verhalten zu unterlassen bzw. ein solches Handeln vorzunehmen. Es bedarf hier stets einer umfassenden und konkreten Prüfung des Einzelfalls.

Angehörige der Volkszugehörigkeit der Roma sind in ihrem Herkunftsland im ehemaligen Jugoslawien häufig nicht im Geburtsregister ordnungsgemäß erfasst, so dass sich hier eine einwandfreie Identitätsklärung besonders schwierig darstellt.

Eine Ausländerbehörde kann nicht nach einer jahrelangen, von ihr zu verantwortenden Untätigkeit in Sachen der Verfügung einer konkreten Mitwirkungshandlung die nichtdeutsche Person mit einer Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG konfrontieren.
Einzig aus einer bindenden Ablehnung des Asylantrags darf behördlicherseits nicht ohne weiteres auf die antragstellerseitig zu verantwortende Absicht geschlossen werden, die Wiedereinreise in das Bundesgebiet wäre nur zum Zwecke des Leistungsbezugs erfolgt.

Die Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen entsprechend § 1a Abs. 2 AsylbLG ist restriktiv auszulegen. Hier müssen weitere Indizien hinzutreten, die einen zuverlässigen Schluss auf die prägende Einreisemotivation gestalten, wozu auch die Schaffung einer Lebensgrundlage durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Umstände im Heimatstaat zählen. Dies gilt gerade dann, wenn die dortigen Gegebenheiten für eine Familie mit (Klein-) Kindern unzumutbar waren, und der Familienvater im Bundesgebiet sofort um eine Beschäftigung nachgesucht hat.

Gerade im streitigen Fall einer sog. „Um-zu-Einreise“ kann es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ungerechtfertigt sein, eine unbegrenzte Anspruchseinschränkung zu verfügen, wenn diese Sanktion nicht auf verhaltensbedingte Aspekte zurückzuführbar ist.
Von einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung des Aufenthalts im Bundesgebiet im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG darf dann nicht gesprochen werden, wenn sich substantielle Mitwirkungsaufforderungen der Ausländerbehörde in keiner Weise feststellen lassen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Februar 2019 (B 8 SO 13/17.R):

Erzielte Einnahmen sind bei der Person als Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zu berücksichtigen, der diese Gelder tatsächlich zufließen. Ein Einkommenseinsatz ist einem vom Sozialamt in Anspruch genommenen Kostenschuldner nur dann zumutbar, wenn dieser Person ein Einkommen als „bereite Mittel“ selbst und unmittelbar zur Verfügung steht.

Kindergeld stellt keine zweckbestimmte Leistung im Sinne des § 83 SGB XII für das behinderte Kind dar. Hier handelt es sich grundsätzlich um eine Einnahme der Person, der diese Mittel als Leistungs- oder Abzweigungsberechtigter (wie z. B. ein Erziehungsberechtigter) ausgezahlt werden.

Hinsichtlich volljähriger, außerhalb des elterlichen Haushalts lebender Kinder ist vom Sozialamt das an ein Elternteil als kindergeldberechtigte Person ausgezahlte Kindergeld – unabhängig vom Zufluss – nicht als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils zu berücksichtigen, wenn diese Geldmittel dem volljährigen Kind zeitnah (innerhalb eines Monats nach Auszahlung bzw. Überweisung des Kindergeld) zugewendet werden, und ohne diese Weiterleitung die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergelds durch Verwaltungsakt zugunsten dieses Kindes vorliegen würden.

Dies gilt auch unabhängig von der normativen Zuordnung des Kindergelds als ein Einkommen des Kindes gemäß § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, wenn das für ein minderjähriges Kind an die kindergeldberechtigte Person ausgezahlte Kindergeld nicht zeitnah weitergeleitet wird, und dem Kind deshalb keine „bereiten Mittel“ zur Verfügung stehen, die es zur Deckung seines notwendigen Lebensunterhalts einsetzen könnte.

BSG, Urteil vom 27. Februar 2019 (B 8 SO 15/17.R):

Wenn Leistungen gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII (hier: der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII) vom Sozialhilfeträger rechtmäßig erbracht worden sind, dann ist es für die Anwendung des § 102 SGB XII („Kostenersatz durch Erben“) ohne Bedeutung, ob es sich beim Hausgrundstück der vollstationär pflegebedürftigen und schließlich verstorbenen Person um ein zu Lebzeiten dieses Erblassers geschütztes Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII gehandelt hat. Diese Privilegierungsnorm dient einzig dem Schutz der sozialhilfebedürftigen Person, nicht aber dem der gesetzlichen Erben.

§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII begründet kein „postmortales Schonvermögen“ zugunsten von Erben, denn ansonsten liefe der Erbenersatz nach § 102 SGB XII in vielen Fällen leer.
Ein Härtefall entsprechend § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII liegt lediglich dann vor, wenn die von Erben geltend gemachte Härte von besonderem Gewicht, d. h. besonders schwerwiegend ist, z. B. sofern der Nachlass für die Erbin selbst ein Schönvermögen gemäß § 90 Abs. 2 SGB XII wäre.
Wenn ein Sozialhilfeträger unter Verweis auf § 102 Abs. 1 und 2 SGB XII einen Ersatzanspruch erheben kann, dann sind von dieser Forderung ebenfalls die dieser Behörde für die Bewilligung des Barbetrags nach § 27b Abs. 2 und 3 SGB XII entstandenen Aufwendungen mit umfasst. Die aus § 102 Abs. 5 SGB XII hervorgehende Ausnahmenorm gelangt hier nicht zur Anwendung, weil es sich bei diesem Barbetrag ausschließlich um Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII handelt.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12. März 2020 (L 15 AS 96/19):

Bei einem Segelboot handelt es sich um kein selbst bewohntes Wohneigentum im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II. In Bezug auf diese Sache kann § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht herangezogen werden. Das Jobcenter darf hier keine Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur als ein unterkunftsbezogener Bedarf entsprechend § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II berücksichtigen. Diese Norm findet auf andere Unterbringungsformen als das eigengenutzte, angemessene Wohneigentum (wie z. B. Kraftfahrzeuge und Boote) keine Anwendung.

Die antragstellerseitig beabsichtigte Anschaffung eines Boots-Diesel-Ofens im Wert von EUR 2.670,50 stellt keine Aufwendung für die Instandhaltung und Reparatur eines Segelboots, sondern eine erhebliche, wertsteigernde Neuanschaffung, die von § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht erfasst wird, dar. Hier erfolgt gerade keine Beseitigung von Mängeln an der Substanz dieses Bootes, sondern es wird eine erhebliche Verbesserung und Wertsteigerung bewirkt.

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. März 2020 (L 8 AY 4/20.B.ER):

Eine Aufforderung zur freiwilligen Ausreise stellt keine aufenthaltsbeendende Maßnahme im Sinne des § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG dar. Solchen Verfügungen fehlt der Vollstreckungscharakter. Eine auf § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG gestützte Anspruchseinschränkung ist dann nicht sachlich gerechtfertigt, wenn in keiner Weise feststeht, dass die Ausländerbehörde über eine Strategie oder ein Konzept zur Abschiebung des Antragstellers verfügt, und behördlicherseits ein ernsthaftes Bestreben vorliegt, konkret aufenthaltsbeendende Maßnahmen in Betracht zu ziehen.

Dies gilt gerade dann, wenn es als nicht gesichert aufzufassen ist, dass die Rückführung des Antragstellers in seinen Heimatstaat (kausal) aufgrund seiner fehlenden Mitwirkung bei der Identitätspapierbeschaffung unter keinen Umständen durchgeführt werden kann.

Sozialgericht Köln, Urteil vom 9. März 2020 (S 6 AS 768/19):

Innerhalb des von einem Jobcenter nach § 41a Abs. 1 SGB II vorläufig erlassenen Bescheids hat die Rechtsfolgenbelehrung die leistungsberechtigte Person konkret, verständlich und vollständig über die vor ihr vorzulegenden Nachweise zu informieren und die möglichen Rechtsfolgen des § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II zu erläutern.

Eine leistungsberechtigte Person darf ihrer Nachweis- und Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung des SGB II-Trägers, d. h. bis zur Widerspruchsentscheidung, nachkommen, bevor für die anspruchsberechtigte Person nachteilige Rechtsfolgen eintreten können.

Genügt die Rechtsfolgenbelehrung in keiner Weise diesen Anforderungen, dann schließt dies den Eintritt der in § 41a Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB II genannten Rechtsfolgen aus.

Sozialgericht Konstanz, Beschluss vom 2. April 2020 (S 1 AS 560/20.ER):

Die krisenbedingte Anlegung eines „Notvorrats“ an Grundnahrungsmitteln stellt keinen unabweisbaren Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II bzw. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar.
Eine solche Bevorratung liegt im Bereich der eigenverantwortlichen Entscheidung des einzelnen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II), in welcher Form er die Mittel des Regelbedarfs (§ 20 SGB II) für Nahrungsmittel und Getränke einsetzt. Auch in der derzeitigen Krisensituation und der Gültigkeit der „Corona-Verordnung“ der Landesregierung von Baden-Württemberg besteht die Möglichkeit zum regelmäßigen Einkauf und zur Deckung des Bedarfs an Grundnahrungsmitteln.

Ein unabweisbarer Mehrbedarf besteht auch nicht, weil Lebensmittel infolge der Corona-Pandemie allgemein teurer geworden sind. Hier fehlt es an entsprechenden Nachweisen. Erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist es hier zumutbar, auf andere Produkte und Anbieter als bislang zurückzugreifen.

Zusätzliche Aufwendungen für Hygiene (wie Seife, Reinigungs- und Desinfektionsmittel) sowie Schutzmasken und –kleidung führen zu keinem unabweisbaren Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II bzw. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Aufwendungen für Seife und vergleichbare Reinigungsmittel sind im Regelbedarf enthalten. Die Anschaffung von Schutzmasken und –kleidung wird bislang von keiner öffentlichen Stelle verbindlich vorgeschrieben.

Sozialgericht Düsseldorf, Beschluss vom 14. April 2020 (S 25 AS 1118/20.ER):

Ein aus Portugal stammender Obdachloser, der wegen der in Europa krisenbedingt geschlossenen Grenzen in seinen Heimatstaat nicht zurückkehren kann, um ggf. dort Sozialleistungen zu beantragen, ist von deutschen Sozialbehörden ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewähren, damit sein Überleben ganz aktuell gesichert wird.

Aufgrund der krisenbedingt verfügten Einschränkungen des öffentlichen Lebens dürfte es für obdachlose Menschen derzeit mehr als nur schwierig sein, z. B. auf der Straße Leistungen zu erbetteln.

Das Jobcenter unterliegt in dieser Situation der Verpflichtung, diesem über keinerlei Einkünfte verfügenden Obdachlosen Hilfen nach den §§ 19 ff. SGB II (Alg II) zu gewähren, ohne dass hier entscheidend auf die aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hervorgehende Ausschlussnorm abgestellt werden darf.

Quelle: Kommentierungen Dr. Manfred Hammel

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