Autismustherapie als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben

13. November 2019

Ein Anspruch auf eine Autismustherapie kann zusätzlich neben einer geförderten Berufsausbildung bestehen. Dies hat das Sozialgericht Osnabrück in einem Urteil vom 16.07.2019 (Aktenzeichen S 43 AL 155/16) entschieden. Die im Jahre 1995 geborene Klägerin leidet unter einer Störung aus dem Autismusspektrum (sog. Asperger-Syndrom). Als gesetzlicher Betreuer ist der Vater der Klägerin bestellt.

Nach ihrer Schulzeit absolvierte die Klägerin zunächst eine elfmonatige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme in einem Bildungswerk und nahm zum 01.08.2014 dort eine geförderte Ausbildung zur Hauswirtschafterin auf.

Wegen ihrer Erkrankung wurde der Klägerin vom zuständigen Landkreis zunächst eine Autismustherapie als Leistung der Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) gewährt; diese Förderung endete mit Vollendung des 21. Lebensjahres der Klägerin im September 2016.

Im Mai 2016 beantragte die Klägerin beim bisher zuständigen Landkreis und später auch bei der Bundesagentur für Arbeit die weitere Übernahme der Kosten für ihre Autismustherapie. Bei der Zwischenprüfung Anfang 2016 waren die Leistungen der Klägerin im schriftlichen Bereich als „den Anforderungen im Ganzen noch entsprechend“ eingeordnet worden; die praktischen Prüfungen wurden überwiegend mit einem doppelten Minus (–) bewertet.

Das Bildungswerk unterstützte den Antrag, da die Klägerin eine solche Therapie zur weiteren Stabilisierung benötige. Die Klägerin habe im Bereich der sozial-kommunikativen Kompetenzen die Note 4 erhalten. Sie sei in der Prüfungssituation durch ihr Handicap stark eingeschränkt gewesen. Die Prüfungen seien in unbekannten Räumen außerhalb des Bildungswerks abgelegt worden. Konflikte in der Ausbildungsgruppe könne die Klägerin nicht selbständig meistern. Sie benötige individuelle Unterstützung.

Die Bundesagentur für Arbeit lehnte den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass nach einer amtsärztlichen Begutachtung keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das Bildungswerk die erforderliche und notwendige Unterstützung nicht in ausreichender Form erbringe, zumal sich die Einrichtung auch auf das Störungsbild Autismus spezialisiert habe. Der Widerspruch der Klägerin gegen diese Entscheidung blieb erfolglos.

Die Klägerin führte die Autismustherapie zunächst auf eigene Kosten weiter durch und klagte zugleich gegen die Bundesagentur für Arbeit auf Übernahme der ihr entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 2.040,00 Euro.

Das Sozialgericht hat die beklagte Bundesagentur verurteilt, der Klägerin die Kosten für die durchgeführte Autismustherapie als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erstatten.

Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass bei der Klägerin trotz der auf das Krankheitsbild Autismus abgestimmten Abläufe im Bildungswerk ein weitergehender Bedarf bestand, um die Ausbildung als Hauswirtschafterin zu bewältigen. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Autismustherapie auch um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 112 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), so das Gericht weiter.

Kommen für den Bedarf eines behinderten Menschen mehrere Leistungssysteme in Betracht, so hat die Abgrenzung zu anderen Leistungen (hier: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) nach dem Schwerpunkt des Bedarfs und der Maßnahme zu erfolgen. Dieser Schwerpunkt lag im entschiedenen Fall auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, da bei der Klägerin insbesondere Probleme im Zusammenhang mit der Zwischenprüfung und im Bereich des Arbeitslebens bestanden.

Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob in Fällen wie dem vorliegenden stets von einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben auszugehen ist. Diese Frage ist anhand des konkreten Bedarfs der konkreten Person in der jeweiligen Situation zu beantworten.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es wurde Berufung eingelegt.

Hinweis zur Rechtslage

§ 112 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) lautet:

(1) Für behinderte Menschen können Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern.

Quelle: Sozialgericht Osnabrück


Weitere Meldungen: