Kommentierte Gerichtsentscheidungen – Teil 15

28. Juli 2019

Bundessozialgericht, Urteil vom 9. August 2018 (B 14 AS 32/17.R). Aufgrund der generellen, in Bezug auf EU-Bürger vertretbaren Freizügigkeitsvermutung hat ein Aufenthalt eines EU-Ausländers im Bundesgebiet als rechtmäßig aufgefasst zu werden, bis die zuständige Ordnungsbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt und damit gemäß § 7 Abs. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht verfügt hat.

Diese generelle Freizügigkeitsvermutung allein eröffnet weder einen Zugang zu Leistungen nach dem SGB II noch steht sie dem Ausschluss von Leistungen entsprechend dem SGB II entgegen.
Ein Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b) SGB II führt nicht zu einer Unanwendbarkeit des SGB XII (Sozialhilfe) entsprechend § 21 Satz 1 SGB XII.
Dies gilt auch in einem Fall nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII.

Der dort geregelte Leistungsausschluss bewirkt nicht den Ausschluss von Ermessensleistungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Dies folgt aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entsprechend Art. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ordnungsrechtliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird, ohne dass es auf eine Möglichkeit der Rückkehr in das Herkunftsland ankommt.

Hinsichtlich der nach § 18 Abs. 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des zuständigen Sozialhilfeträgers zum Einsetzen von Leistungen der Sozialhilfe ist auf die dem Sozialamt zuzurechnende Kenntnis des sachlich unzuständigen Jobcenters zu verweisen.

BSG, Urteil vom 28. August 2018 (B 8 SO 1/17.R):

Zur angemessenen Erhöhung des Barbetrags nach § 1 Satz 1 Nr. 2 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII entsprechend § 2 Abs. 1 DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII im besonders begründeten Fall einer vollschichtig beschäftigten, schwerbehinderten Person (GdB: 100, Merkzeichen „aG“, „RF“ und „H“), die auf Leistungen der Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) permanent angewiesen ist.

Es sind hier die dauerhaften Einschränkungen, die diese Person bedingt durch ihre Behinderung in ihrer allgemeinen Lebensführung hinnehmen muss, soweit es ihr gelang, aus der durchgehend ausgeübten Berufstätigkeit ein Vermögen anzusparen, die eine derartige Entscheidung sachlich rechtfertigen.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die behinderungsbedingt fortlaufend entstehenden Bedarfe durch die erforderlichen Sozialleistungen abgedeckt werden. Von ausschlaggebender Bedeutung sind hier insbesondere die (lebenslange) Dauer und die Schwere der Beeinträchtigungen, mit denen dieser schwerbehinderte Mensch konfrontiert ist.

BSG, Urteil vom 12. September 2018 (B 4 AS 33/17.R):

Der Bedarf eines ausländischen Beziehers von Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II) für die Beschaffung eines neuen Reisepasses ist grundsätzlich vom Regelbedarf (§ 20 SGB II) mit umfasst.

Dies folgt aus dem Konzept dieses Richtsatzes als monatlicher Pauschalbetrag zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Ermittlung des Regelbedarfs aufgrund des durchschnittlichen Verbrauchsverhaltens der maßgeblichen Referenzgruppe und dem gleichermaßen für In- wie Ausländer bestehenden Bedarf an gültigen Ausweispapieren, deren Kosten in die Ermittlung des Regelbedarfs eingeflossen sind.

Eine Übernahme entsprechender Aufwendungen (hier: EUR 217,-) durch das Jobcenter entsprechend § 21 Abs. 6 SGB II wegen eines Härtefall-Mehrbedarfs kommt nicht in Betracht, weil trotz einer fortlaufend bestehenden Passpflicht im Bundesgebiet (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) der Bedarf hinsichtlich der Kosten der erforderlichen Ausweispapiere lediglich im Zeitpunkt ihrer Beschaffung entsteht.

Bei Finanzierungsschwierigkeiten besteht die Möglichkeit der Beantragung eines Darlehens (§ 24 Abs. 1 SGB II).

BSG, Urteil vom 12. September 2018 (B 4 AS 45/17.R):

Ein Anspruch auf Berücksichtigung eines Warmwassermehrbedarfs über die Warmwasserpauschale nach § 21 Abs. 7 Satz 2, 1. HS SGB II hinaus kann geltend gemacht werden, soweit die Aufwendungen für die Warmwassererzeugung durch diesen Pauschalbetrag nicht vollständig gedeckt und auch nicht unangemessen sind.

Maßgebend dafür, ob ein abweichender Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 7 Satz 2, 2. HS, 1. Alt. SGB II besteht, sind die für die dezentrale Warmwassererzeugung tatsächlich entstehenden Aufwendungen, soweit diese Kosten angemessen sind.

Die Anerkennung eines derart abweichenden Warmwassermehrbedarfs setzt keine separate Verbrauchserfassung durch technische Einrichtungen (wie z. B. einen Verbrauchszähler), voraus, sondern erfordert grundsätzliche Ermittlungen sowie hierauf gestützte, einzelfallbezogene Feststellungen.

BSG, Urteil vom 28. November 2018 (B 14 AS 47/17.R):

Auf andere Weise ungedeckte und nicht nur einmalige Aufwendungen zum Besuch eines im Ausland lebenden Ehepartners eines in Deutschland lebenden Empfängers von Arbeitslosengeld II können in einer Sondersituation durchaus einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II begründen.
Auch zwischen Eheleuten kann die Aufrechterhaltung enger persönlicher Bindungen für die personale Existenz von herausragender Bedeutung sein, was auch verfassungsrechtlich über Art. 6 Abs. 1 GG untermauerbar ist.

Aufenthaltsrechtliche Hindernisse für den Nachzug einer ausländischen Ehegattin zu ihrem im Bundesgebiet lebenden deutschen Ehepartner begründen aber keinen Anlass für die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II zum Besuch dieser nichtdeutschen Ehegattin in ihrem ostasiatischen Heimatland. Diese Eheleute sind in dieser Situation darauf verwiesen, die zwischen ihnen bestehende räumliche Trennung durch das Betreiben des gesetzlichen Visumverfahrens zu beenden. Hier besteht keine Sondersituation, in der zur Sicherung der personalen Existenz von Verfassungs wegen mit (zusätzlichen) existenzsichernden Leistungen vom Jobcenter eine Begegnung dieser Eheleute im Ausland zu ermöglichen ist.

BSG, Urteil vom 28. November 2018 (B 14 AS 48/17.R):

Vom Jobcenter sind gemäß § 21 Abs. 6 SGB II zur Deckung von Reisekosten zum Besuch volljähriger Kinder in einer Sondersituation (hier: Verhängung von Untersuchungshaft in einem anderen Staat wegen des Vorwurfs der Beteiligung an einem Tötungsdelikt) zusätzliche existenzsichernde Leistungen zu bewilligen.

Auf andere Weise nicht gedeckte, fortlaufend entstehende Aufwendungen zum Aufsuchen naher Angehöriger können hier durchaus einen Härtefallmehrbedarf begründen.

BSG, Urteil vom 6. Dezember 2018 (B 8 SO 7/17.R):

Auch ein außerunterrichtliches, schulisches Nachmittagsangebot einer offenen Ganztagesschule kann in Abhängigkeit von seiner konkreten Ausgestaltung und im Hinblick an den konkreten Förderbedarf eines behinderten Schülers (Down-Syndrom, GdB: 80; Zuerkennung der Merkzeichen „G“ und „H“ bei gleichzeitiger Pflegebedürftigkeit) eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 EingliederungshilfeVO) darstellen, wenn es geeignet und erforderlich ist, den jeweiligen individuellen Eingliederungszweck entsprechend der von der Schulverwaltung jeweils festgestellten sozialpädagogischen Förderbedarfe zu erreichen.

Hier hat ein individueller und personenzentrierter Maßstab Gültigkeit, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtungsweise entgegensteht. Die Entscheidung darüber, was für das einzelne Kind die „angemessene Schulbildung“ darstellt, obliegt der Schulverwaltung.
Dient das Programm der offenen Ganztagesschule insbesondere der Unterstützung, Erleichterung oder Ergänzung der pädagogischen Arbeit, handelt es sich bei der hierfür erforderlichen Integrationshilfe um eine notwendige Hilfe zur angemessenen Schulbildung.

Auch freiwillige Bildungsangebote (wie z. B. ein Nachhilfeunterricht) können im Einzelfall erforderlich sein, um das für den Schulbesuch maßgebliche Bildungsziel zu erreichen.

BSG, Urteil vom 30. Januar 2019 (B 14 AS 41/18.R):

Nach der auch für schlüssige Konzepte zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II entsprechend anzuwendenden gesetzgeberischen Vorgabe in § 22b Abs. 1 Satz 4 SGB II bildet das Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters einen Vergleichsraum, der aufgrund seiner örtlichen Gegebenheiten in mehrere Vergleichsräume unterteilbar sein kann, für die sich jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmen lassen: Tagespendelbereiche für berufstätige Personen, die Nähe zu Ballungsräumen oder erwiesene, deutliche Unterschiede im Mietpreisniveau.

Wenn ein Jobcenter von einem Vergleichsraum für den gesamten Landkreis ausgeht, ist es nicht zulässig, diesen Vergleichsraum später pauschal zu unterteilen und z. B. jede einzelne Kommune innerhalb dieses Kreises als jeweils eigenen Vergleichsraum aufzufassen. Hierzu fehlt es an sachlich begründeten Merkmalen.

Ein Konzept, das hier zu mehreren Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitswerten innerhalb eines Vergleichsraumes aufgrund einer „Clusteranalyse“ führt, erfüllt nicht die Voraussetzungen für ein schlüssiges Konzept. Für eine solche weitere Aufteilung der Städte und Gemeinden eines Vergleichsraums gibt es keine rechtliche Begründung. Durch die Bildung von Wohnungsmarkttypen können die Voraussetzungen für die Bildung und die Rechtsfolgen eines Vergleichsraums nicht geändert werden.

Bundessozialgericht, Urteil vom 21. März 2019 (B 14 AS 28/18.R):

Der Geltungszeitraum einer Eingliederungsvereinbarung (EGV) kann im Rahmen des § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II flexibel vereinbart werden. Hiernach lässt sich eine unbefristete Geltungsdauer („bis auf weiteres“) ausdrücklich vereinbaren oder sich stillschweigend aus dem Fehlen einer fest fixierten Regelung zur Laufzeit ergeben.

Die Einzelheiten des in § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungsrhythmus sind in der EGV im Einzelnen festzuschreiben. Dies erfordert Regelungen zu den Anlässen oder Zeitpunkten für die gemeinsame Überprüfung während der Laufzeit der EGV.

Entsprechendes hat auch für den eine EGV ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakt (§ 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II) Gültigkeit. Spezifische Vorgaben zum Geltungszeitraum und zum Überprüfungsmechanismus für einen nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II erlassenen Verwaltungsakt gehen aus dem Gesetz nicht hervor. Diese Verfügung hat aber ebenfalls den aus § 15 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II hervorgehenden Anforderungen zu entsprechen.

Ein Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II hat als rechtswidrig aufgefasst zu werden, wenn aus dieser Verfügung keine konkrete Regelung eines Überprüfungs- und Fortschreibungsmechanismus hervorgeht, der auf den Geltungszeitraum abgestimmt ist.
Die vom Jobcenter innerhalb eines Eingliederungsverwaltungsakts verfügte Bestimmung „bis auf weiteres“ erfordert, dass diese Entscheidung von hinreichenden Ermessenserwägungen getragen ist.

Es reicht nicht aus, wenn dort lediglich pauschal vorgegeben wird, dass die Inhalte dieser Verfügung regelmäßig überprüft und ggf. fortgeschrieben werden, ohne dass an gleicher Stelle eine konkrete Frist für die notwendige Kontrolle festgelegt, d. h. näher bezeichnet wird, wann und nach welchem Verfahren die Bestimmungen des Verwaltungsakts nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II überprüft und ggf. geändert werden können.

BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 (B 14 AS 13/18.R):

Kosten für notwendige Schulbücher, die bedürftige Oberstufenschüler mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen, sind durch das Jobcenter als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II anzuerkennen. Diese Rechtsgrundlage findet in dieser Sondersituation unmittelbare Anwendung, ohne dass es einer Analogie bedarf.

Die vom Jobcenter gemäß § 28 Abs. 3 SGB II für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf zu leistende Pauschale umfasst nicht die Ausstattung mit Schulbüchern, sondern in Bezug auf diese Bedarfslage ist auf den Regelbedarf (§ 20 SGB II) verwiesen. In diesem Richtsatz ist dieser Bedarf der Höhe nach für Schüler, die mangels Lernmittelfreiheit ihre Schulbücher selbst kaufen müssen, strukturell nicht realitätsgerecht und der Höhe nach zu niedrig eingestellt.

Zur Deckung des Bedarfs an Schulbücher kann weder auf den Regelbedarf (§ 20 SGB II) und die mit ihm verbundene Ansparkonzeption noch auf ein Darlehen gemäß § 24 Abs. 1 SGB II verwiesen werden.

Dies setzt voraus, dass ein Bedarf bei der Ermittlung des Regelbedarfs in strukturell realitätsgerechter Weise zutreffend erfasst worden ist und nicht nur ein individuell von diesem Richtsatz abweichender Bedarf besteht. Hieran fehlt es bei einer zu niedrigen Regelbedarfsermittlung für Schulbücher bei fehlender Lernmittelfreiheit.

An dieser Stelle muss deshalb eine unzureichende Deckung existenzsichernder Bedarfe festgestellt werden und kann § 21 Abs. 6 SGB II zur Anwendung gelangen.
Der Bedarf für Schulbücher verkörpert bei verfassungskonformer Auslegung einen existenznotwendigen Bedarf, der als unabweisbar im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II eingeschätzt werden muss, weil er seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, wenn z. B. für die gymnasiale Oberstufe keine Lernmittelfreiheit besteht.
Hier besteht deshalb nicht nur ein einmaliger, sondern ein laufender Bedarf, der während des Schulbesuchs und in Abhängigkeit von dessen Verlauf fortlaufend entsteht.

BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 (B 14 AS 20/18.R):

Aufwendungen für eine jährliche Heizmaterialbevorratung sind vom Jobcenter im Fälligkeitsmonat auch dann in tatsächlicher Höhe als Bedarf für Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) anzuerkennen, wenn nicht zu erwarten ist, dass antragstellerseitig über den gesamten Zeitraum hinweg Leistungen nach dem SGB II bezogen werden.

Ein Bedarf nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II kann für unregelmäßige oder in größeren Zeitabständen entstehende Zahlungsverpflichtungen grundsätzlich in gleicher Weise wie für fortlaufend entstehende Kosten geltend gemacht werden. Einmalige unterkunftsbezogene Aufwendungen sind von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ebenfalls mit umfasst, als tatsächlicher Bedarf im Monat ihrer Fälligkeit anzuerkennen und vom Jobcenter nicht auf längere Zeiträume zu verteilen.

Dies gilt auch bei einem nur kurzzeitigen Leistungsbezug. Für den Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist grundsätzlich von maßgeblicher Bedeutung, inwieweit in dem für die Leistungshöhe bedeutsamen Zeitraum die währenddessen entstandenen unterkunfts- und heizungsbezogenen Zahlungsverpflichtungen mit dem antragstellerseitig zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen gedeckt werden können. Hier hat das Monatsprinzip Gültigkeit. Eine Unterdeckung innerhalb dieses Zeitraums begründet den Leistungsanspruch für diesen Monat.

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Mai 2019 (L 11 AS 209/19.B.ER):

Ein in Thailand sich befindendes, im Eigentum einer Antragstellerin stehendes Einfamilienhaus stellt ein vom Jobcenter gemäß § 12 Abs. 1 SGB II prinzipiell zu berücksichtigendes Vermögen dar. Diese Liegenschaft ist insbesondere als kein von in Deutschland lebenden Antragstellern selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe und deshalb nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II privilegiertes Vermögen auszufassen.

Bei dieser Auslandsimmobilie handelt es sich aber im Antragszeitpunkt um kein sog. „bereites Mittel“, aus dem Antragsteller ihren aktuellen Lebensunterhalt finanzieren können.
Einzig die Möglichkeit der Veräußerung von Auslandsvermögen führt nicht zu einer tatsächlichen Zahlung des Kaufpreises und den vollständigen Transfer des Verkaufserlöses zu den in Deutschland lebenden Antragstellern, d. h. zu einer Verneinung der aktuell tatsächlich bestehenden Hilfebedürftigkeit dieser Personen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II).

Das Jobcenter darf bei fehlenden bereiten Mitteln nicht auf ein lediglich fiktiv vorhandenes Einkommen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II) verweisen. In dieser Situation berechtigen unzureichende Verkaufsanstrengungen der Antragsteller das Jobcenter nicht zu einer vollständigen Ablehnung des von diesen Personen nach den §§ 19 ff. SGB II gestellten Leistungsantrags.
Der SGB II-Träger kann hier ggf. Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten gemäß § 34 SGB II geltend machen.

Sozialgericht Schleswig, Gerichtsbescheid vom 2. Juli 2019 (S 1 AS 111/17):

Ein vom Jobcenter auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützter Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig, wenn dieser Verwaltungsakt erst über ein Jahr nach der Meldung der Arbeitsaufnahme durch den Leistungsbezieher erging. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X schreiben hier eine Ausschlussfrist von einem Jahr seit Kenntnisnahme von den die Rücknahmeentscheidung rechtfertigenden Tatsachen vor.

Dem steht nicht entgegen, dass der Alg II-Bezieher der vom Jobcenter an ihn gerichteten Aufforderung zur Vorlage von Nachweisen über das bezogene Arbeitseinkommen nicht nachkam, d. h. hier in keiner Weise entsprechend den §§ 60 ff. SGB I mitwirkte.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. Oktober 2018 (L 9 AS 99/14):

Für die Beurteilung der Angemessenheit von Bedarfen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) ist es von entscheidender Bedeutung, welche Wohnfläche für eine Person angemessen ist. Maßstab für die Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße ist nicht die Anzahl der Bewohner einer Unterkunft, sondern die Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Dies gilt auch dann, wenn sämtliche Bewohner einer Unterkunft zu einer Familie gehören.

Ein Kind stellt unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II bereits dann keinen Teil einer Bedarfsgemeinschaft dar, wenn es unter Einbeziehung seines Kindergeldeinkommens nicht als hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II aufgefasst zu werden hat. Für ein Ausscheiden aus der Bedarfsgemeinschaft ist es nicht erforderlich, dass weitere Einkommensarten allein derart hoch sind, dass sie die Bedarfe des Kindes erfüllen.
Nur für den Personenkreis, der als zur Bedarfsgemeinschaft gehörig festgestellt werden kann, ergeben sich aus dem Kriterium der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II Begrenzungen.

Die Berücksichtigung des Teils des Kindergeldes, der den Bedarf der mit in Haushaltsgemeinschaft lebenden Kinder übersteigt, stellt einen Ausdruck des Grundsatzes dar, demzufolge das Kindergeld ebenfalls in Bedarfsgemeinschaften und erst recht im Fall des Nichtbestehens einer Bedarfsgemeinschaft ohnehin als ein Einkommen der kindergeldberechtigten Person aufgefasst zu werden hat.

Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 7. Juni 2019 (S 34 SO 13/19):

Aufgrund der weitreichenden Folgen einer vorläufigen Leistungsgewährung (§ 44a SGB XII), die eine spätere endgültige Festsetzung und Erstattung von Leistungen ohne Vertrauensschutztatbestände ermöglicht, sind an diese Entscheidung formal hohe Anforderungen zu stellen. Im Zweifel ist hier von einer vorbehaltlosen Bewilligung von Leistungen auszugehen.

Aus einem Bescheid nach § 44a SGB XII hat deshalb klar und unmissverständlich hervorzugehen, ob es sich hier um eine vorläufige oder abschließende Entscheidung handelt.
Die endgültige Berechnung der anerkennungsfähigen Kosten der Unterkunft (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) kann nicht von einem in dieser Angelegenheit noch gefällten Gerichtsurteil abhängig gemacht werden. Hier handelt es sich um keinen eine vorläufige Bewilligung rechtfertigenden Rechtsgrund.

Bei einer Bewilligung gemäß § 44a SGB XII darf dieser Verwaltungsakt nicht auf eine Entscheidung in Sachen der Kosten der Unterkunft beschränkt werden, sondern diese Verfügung hat einheitlich in Bezug auf den gesamten Leistungsanspruch zu erfolgen.

Quelle: Dr. Manfred Hammel

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