Fahrradunfall als Arbeitsunfall einer ehrenamtlichen Pflegekraft?

16. April 2021

Stuttgart/Berlin (DAV). Bei einem Arbeitsunfall ist von Bedeutung, was man besorgen wollte. Eine ehrenamtliche Pflegekraft, die für ihre zu pflegenden Eltern Nahrungsmittel und Medikamente besorgt hatte, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Stürzt sie auf dem Rückweg mit dem Fahrrad und verletzt sich, liegt ein Arbeitsunfall vor.

Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Dezember 2020 (AZ: L 1 U 1664/20), wie die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.

Die Klägerin pflegte ihre Eltern und war bei der Pflegekasse angemeldet. Bei einem befreundeten Arzt besorgte sie mit dem Fahrrad sowohl ein Schmerzmedikament für ihren Vater als auch eine kleine Menge Wildfleisch. Sie stürzte auf dem Rückweg und verletzte sich am linken Knie. Der Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig, womöglich mit erheblichen bleibenden Schäden. Unmittelbar nach dem Unfall gab die Frau in ihrem Antrag gegenüber der Unfallkasse an, die Fahrradfahrt habe sowohl der Medikamenten- als auch der Nahrungsmittelbeschaffung gedient. In einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Unfallkasse rückte sie auf Nachfrage das Schmerzmittel in den Vordergrund. Das Fleisch habe sie bei dieser Gelegenheit nur mitgenommen. Die Unfallkasse lehnte daraufhin die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Eine ehrenamtliche Pflegeperson sei nur bei der Besorgung von Nahrungsmitteln, nicht jedoch von Medikamenten unfallversichert.

Der Unfall ereignete sich bereits 2008. Der Rechtsstreit zog sich über mehrere Jahre hin. Es fanden mehrere Verhandlungen vor dem Sozialgericht, dem Landessozialgericht und (wegen Verfahrensfragen) auch vor dem Bundessozialgericht statt. Es wurde darum gestritten, ob im Vordergrund der Fahrt die Besorgung der Medikamente oder der Lebensmittel stand. Weiterhin darüber, ob das Wildfleisch wirklich für die zu pflegenden Eltern bestimmt und für die Versorgung derselben erforderlich war.

Das Sozialgericht gab der Frau Recht: Die (unstreitig unfallversicherte) Besorgung des Fleisches sei der wesentliche Zweck der Fahrradfahrt gewesen.

Das Landessozialgericht bestätigte die Entscheidung und verurteilte die Unfallkasse dazu, den Fahrradunfall als versicherten Arbeitsunfall anzuerkennen.

Es kam dem Gericht aber nicht darauf an, welche Tätigkeit im Vordergrund gestanden hatte. Es wäre kaum möglich, bei einer solchen Fahrt verschiedene „Handlungstendenzen“ gegeneinander abzugrenzen. Auch dass die Frau zeitweise angegeben hatte, die Besorgung der Medikamente sei Hauptzweck gewesen, gereiche ihr nicht zum Nachteil. Sie habe dies wohl angegeben, weil aus Laiensicht eher die Besorgung von Medikamenten versichert sei als die Nahrungsmittelbesorgung.

Der Lebenswirklichkeit hätten ihre allerersten Angaben in ihrem Antrag bei der Unfallkasse entsprochen, dass sie beide Zwecke verfolgt habe. Die Nahrungsmittelbeschaffung habe auch nicht im Vordergrund stehen müssen. Denn auch bei der Besorgung von Schmerzmitteln handele es sich um eine unfallversicherte Tätigkeit einer Pflegeperson. Daher sei es auf die Frage der Handlungstendenz nicht mehr angekommen. Letztlich zeigt das Ergebnis dieser rechtlichen Odyssee aber, dass es sich lohnen kann, hartnäckig zu sein, so die DAV-Sozialrechtsanwälte.

Quelle und Information: www.dav-sozialrecht.de

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