Verleugnung des Eigentumsschutzes Artikel 14 Grundgesetz
Die nachfolgende kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Entscheidungen des LSG Sachsen-Anhalt und des LSG Thüringen zur Zwangsverrentung konnte nicht mehr in dem Artikel „Zwangsverrentung im SGB II“ berücksichtigt werden, weil sie erst im Monat nach der Veröffentlichung des Artikels erschienen sind. Gleichwohl habe ich von einer sonst üblichen Ergänzung meines Artikels abgesehen, weil mir der hier dargestellte Aspekt einer eigenen Würdigung wert erschien.
Die nachfolgend kritisch beleuchteten Entscheidungen des LSG Sachsen-Anhalt und LSG Thüringen zur Zwangsverrentung führen zur Untermauerung ihrer eigenen Entscheidungen als Begründung Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) an, die entweder etwas anderes regeln oder das diametrale Gegenteil enthalten.
Die gerichtlichen Entscheidungen
Nachfolgend geht es um die Entscheidungen
– LSG Sachsen-Anhalt, Beschluß vom 27. April 2015, Az.: L 5 AS 42/15 B ER
– LSG Sachsen-Anhalt, Beschluß vom 28. April 2015, Az.: L 4 AS 63/15 B ER
– Thüringisches LSG, Beschluß vom 8. April 2015, Az.: L 4 AS 263/15 B ER
– BVerfG, Senatsbeschluß vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09
– BVerfG, Kammerbeschluß vom 8. November 2011, Az.: 1 BvR 2007/11.
Hierbei soll es um einen einzigen, aber wesentlichen Punkt gehen: Stellt die Zwangsverrentung gemäß § 12a SGB II einen Verstoß gegen den durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Eigentumsschutz dar oder nicht?
Außer Zweifel steht – auch bei den deutschen Sozialgerichten –, daß angesparte Rentenbeträge Vermögen sind. Die weitere Frage wäre dann, ob dieses Vermögen, welches grundsätzlich durch Art. 14 GG geschützt ist, durch staatlichen Zwang gekürzt werden darf. Dahinter steckt die Frage, ob § 12a SGB II verfassungskonform ist. Die hier behandelten LSG-Entscheidungen haben diese Frage bejaht, indem sie die eigentliche Fragestellung durch eine falsche ersetzt und so das eigentliche Problem nicht ausgeurteilt haben.
Das LSG Sachsen-Anhalt urteilte in seinem Beschluß vom 27. April 2015, Az.: L 5 AS 42/15 B ER:
„§ 12a SGB II greift auch nicht in den Schutzbereich des Art. 14 GG ein. Dieses ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn der Bestand an individuell geschützten vermögenswerten Rechten aufgrund einer gesetzlichen oder auf einem Gesetz beruhenden Maßnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt vermindert wird (…).
Der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen unterfällt nicht diesem Grundrechtsschutz, weil es an dem Beruhen auf nicht unerheblichen Eigenleistungen fehlt (vgl. BVerfG zur Arbeitslosenhilfe, Beschluss vom 7. Dezember 2010, 1 BvR 2628/07, Rn. 33. Juris).
Das Anwartschaftsrecht auf eine Altersrente ist zwar eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte vermögenswerte Rechtsposition (BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1985, 1 BvL 5/80 u.a., BVerfGE 69, 272, 298 m.w.N.). Die Antragstellerin hat aber als Bezieherin von Sozialleistungen die Verpflichtung, vorrangig Vermögen zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes einzusetzen (vgl. § 12 SGB II). In diesem Sinne sind die Rentenanwartschaften Vermögen, welches sie durch den Rentenantrag aktivieren kann. Bei einer Anrechnung von Vermögen oder Einkommen auf Grundsicherungsleistungen hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. November 2011, 1 BvR 2007/11, Rn. 8, Juris).“ [zit.n. www.sozialgerichtsbarkeit.de]
Und in seinem Beschluß vom 28. April 2015, Az.: L 4 AS 63/15 B ER:
„Auch wenn das Anwartschaftsrecht auf eine Altersrente eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte vermögenswerte Rechtsposition ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1985, Az.: 1 BvL 5/80 u.a., juris), hat die Antragstellerin als Bezieherin von Sozialleistungen die Verpflichtung, vorrangig ihr Vermögen zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts einzusetzen. Insoweit sind ihre Rentenanwartschaften Vermögenswerte, die sie durch den (vorzeitigen) Rentenantrag aktivieren kann. Das Eigentumsrecht ist jedoch nicht verletzt, wenn grundsicherungsrechtlich eine Verwertung von Vermögensgegenständen gefordert wird (…). Insoweit gebietet es das der Grundsicherung immanente Prinzip der Subsidiarität, zunächst Eigenmittel in Anspruch zu nehmen. Diese Verpflichtung gehört zu den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Grundsätzen bei der Inanspruchnahme von steuerfinanzierten Transferleistungen, die vom BVerfG im Hinblick auf den weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen gebilligt worden sind (BVerfG, Beschluss vom 8. November 2011, Az.: 1 BvR 2007/11, juris).“ [zit.n. www.sozialgerichtsbarkeit.de]
In beiden Fällen geht das LSG Sachsen-Anhalt von der richtigen Annahme aus, daß es sich bei Rentenanwartschaften um durch Art. 14 GG geschützte Vermögenspositionen handelt.
Im ersten Fall behauptet das LSG Sachsen-Anhalt dann aber, die Grundsicherungsleistung nach SGB II unterliege nicht dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG und führt eine BVerfG-Entscheidung zur steuerfinanzierten alten Arbeitslosenhilfe an.
Hier wird ein falsches Pferd aufgezäumt, denn im Zusammenhang mit dem Rentenvermögen geht es nicht darum, ob die steuerfinanzierte Grundsicherung nach SGB II dem Schutz des Art. 14 GG unterliegt. Insoweit hatte das BVerfG seinerzeit zur alten steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe im Gegensatz zum durch Eigenleistungen (Versicherungsbeiträge) erwirtschafteten Arbeitslosengeld (jetzt Alg I) zu recht entschieden, daß kein Eingriff in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht vorliege.
[ … ]
Quelle und vollständiger Artikel: Herbert Masslau