Unangemessene Dauer eines gerichtlichen Verfahrens

31. August 2017

Wann sind Richter in einem Entschädigungsrechtsstreit über die unangemessene Dauer eines gerichtlichen Verfahrens wegen Mitwirkung im als überlang gerügten Verfahren ausgeschlossen?

Unter welchen Voraussetzungen sind Richter von der Ausübung des Richteramtes in einem Rechtsstreit über die Entschädigung eines überlang dauernden Gerichtsverfahrens ausgeschlossen, wenn sie bereits in diesem als überlang beanstandeten Gerichtsverfahren mitgewirkt haben? Reicht hierfür jede Tätigkeit im Verfahrensverlauf des Ausgangsverfahrens oder bedarf es der Mitwirkung an der eigentlichen Entscheidung in der Sache? Hierüber wird der 10. Senat des Bundessozialgerichts am 7. September 2017, um 11.30 Uhr im Elisabeth-Selbert-Saal mündlich verhandeln und eine Entscheidung verkünden (Aktenzeichen B 10 ÜG 1/16 R).

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen der mehr als 11jährigen Dauer ihres vor dem Sozialgericht Schwerin und Landessozialgericht Mecklenburg Vorpommern geführten Verfahrens auf Opferentschädigung. Dieses hatte sie angestrengt, nachdem ihr Vater sie jahrelang sexuell missbraucht hatte und aus dieser Inzestbeziehung eine inzwischen verstorbene schwerstbehinderte Tochter hervorgegangen war.

Das Opferentschädigungsverfahren begann im Februar 2002 und endete vor dem Sozialgericht durch teilweise zusprechendes Urteil im April 2008, gegen welches das beklagte Land Berufung beim Landessozialgericht einlegte. Die Eingangsverfügung beim zuständigen 3. Senat des Landessozialgerichts fertigte der damalige Vorsitzende W., der wenige Tage danach Vorsitzender des für den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren zuständigen 12. Senats des LSG wurde. Das Berufungsurteil des 3. Senats vom Juni 2013 im Opferentschädigungsstreit wurde der Klägerin im November 2013 zugestellt. An dieser Entscheidung waren die Berufsrichter G. als Vorsitzender sowie A.M. und H. beteiligt.

Bereits im März 2013 hatte die Klägerin beim 12. Senat des Landessozialgerichts Klage erhoben auf Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von 19 200 Euro wegen der überlangen Dauer des Opferentschädigungsverfahrens. Die ursprünglich terminierte mündliche Verhandlung des 12. Senats wurde abgesetzt. Zur Begründung führte der 12. Senat aus, sämtliche zwischenzeitlich nach der Geschäftsverteilung planmäßig zuständigen Berufsrichter im Entschädigungsverfahren seien wegen ihrer früheren Mitwirkung im Opferentschädigungsverfahren ausgeschlossen. Der Vorsitzende des 12. Senats W. habe in seiner Funktion als damaliger Vorsitzender des 3. Senats die Eingangsverfügung unterzeich¬net, die Richter am Landessozialgericht G. und A.M. seien am Berufungsurteil beteiligt gewesen. Der 12. Senat hat deshalb in der Vertretungsbesetzung durch die Berufsrichter Sch. Als Vorsitzendem sowie die Beisitzer A. und C. entschieden und das beklagte Land wegen einer Überlänge des Verfahrens von 28 Monaten zu einer Entschädigung in Höhe von 2800 Euro verurteilt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen und formellen Rechts. Der 12. Senat beim Landessozialgericht habe in fehlerhafter Besetzung entschieden (§ 60 SGG in Verbindung mit § 41 Nr 7 ZPO). Richter A. sei von der Mitwirkung ausgeschlossen gewesen, denn er habe im Jahr 2008 als neuer Vorsitzender des 3. Senats zwischen Verkündung und Zustellung auf eine schnellere Abfassung des Berufungsurteils im Opferentschädigungsverfahren drängen müssen. W. sei hingegen als ehemaliger Vorsitzender des 3. Senats gar nicht am Berufungsurteil beteiligt gewesen, so dass er von der Mitwirkung an der Entscheidung des 12. Senats nicht habe ausgeschlossen werden dürfen. In der Sache habe das Landessozialgericht entgegen § 198 GVG das Ausmaß der erst- und zweitinstanzlichen Inaktivität zu gering bemessen und dabei auch infolge unterlassener Ermittlungen die Bedeutung der Unbilligkeit für die Entschädigung verkannt.

Quelle: Bundessozialgericht

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