Richter finden: Straßenzeitungen werden nicht aus Interesse an der Zeitung gekauft
Ich schreibe schon seit vielen Jahren für das Straßenmagazin Hempels. Und nun muss ich erfahren, dass viele Richter finden, dass die Leser der Straßenzeitungen in Wahrheit gar kein Interesse an den Zeitungen, also auch daran, was ich schreibe, haben. So finden die Richter am 7. Senat des Hessischen Landessozialgerichts:
„Zwar können gegen ein geringes Entgelt Passanten auf der Straße die angebotene Obdachlosenzeitung erhalten. Darin kommt aber in der Regel nicht ein sich in geldwerter Nachfrage ausdrückendes Interesse an der Zeitung zum Ausdruck, sondern mit dem Angebot der Zeitung ist wesentlich das Ziel verbunden, bei den Straßenpassanten niederschwellig die Bereitschaft zu wecken oder zu erhöhen, den Verkäufern in ihrer sozialen Lage finanziell in Form einer Geldspende helfen zu wollen. (…) Das steht im Einklang mit persönlichen Erfahrungen des Senats, soweit er selber vor allem in innerstädtischen Einzelhandelszonen solchen Zeitungsverkäufern begegnet ist.“
Das ist gemein, findet nun – Kopieren geht über Studieren, das haben auch einige Berliner Richter aus ihrem Studium behalten – aber auch die Vorsitzende der 191. Kammer am SG Berlin:
„Bezüglich des Verkaufs von Straßenzeitungen können zwar Passanten oder Nutzer des ÖPNV diese gegen ein (geringes) Entgelt erhalten. Darin kommt aber in der Regel nicht ein sich in geldwerter Nachfrage ausdrückendes Interesse an der Zeitung zum Ausdruck, sondern mit dem Angebot der Zeitung ist wesentlich das Ziel verbunden, bei den Straßenpassanten die Bereitschaft zu wecken oder zu erhöhen, den Verkäufern in ihrer sozialen Lage finanziell in Form einer Geldspende helfen zu wollen (so Hessisches LSG, a.a.O.). Es handelt sich also um eine Form des (aktiven) Bettelns. Das steht im Einklang mit den persönlichen Erfahrungen der entscheidenden Kammer-Mitglieder, soweit diese selber, vor allem in innerstädtischen ÖPNV, solchen Zeitungsverkäufern alltäglich begegnen.“
Was kann man daraus lernen? Die Richter begegnen Straßenverkäufern. In Hessen „in innerstädtischen Einzelhandelszonen“ und in Berlin „vor allem in innerstädtischen ÖPNV“. Was sie aber offenbar auf keinen Fall machen, ist, einfach mal so eine Zeitung zu kaufen und zu lesen. Ob nun aus Interesse, weil diese Zeitungen soziale Themen gelegentlich als erste aufgreifen, um „den Verkäufern in ihrer sozialen Lage finanziell in Form einer Geldspende“ zu helfen (auch nicht ganz verkehrt) oder vielleicht auch einfach nur, um zukünftig ein wenig differenzierter in ihren Judikaten über Straßenzeitungen referieren zu können.
Ich bekomme immer Belegexemplare vom Hempels e.V. Demnächst werde ich vielleicht mal – als kleine Spende – jeweils ein Exemplar an das Hessische Landessozialgericht und das Sozialgericht Berlin schicken. Möglicherweise fallen dann zukünftige Urteilsbegründungen ja etwas freundlicher aus.
Quelle: Rechtsanwalt Helge Hildebrandt bei Sozialberatung Kiel
Anmerkung Sozialticker – “Möglicherweise fallen dann zukünftige Urteilsbegründungen ja etwas freundlicher aus.” – können wir bezweifelnd abhaken, denn dieses Klientel liest bestimmt nur andere Lektüren, welche per “Flasche” bereits im Kindesalter ihnen eingeimpft wurden. Desweiteren meidet dieser Kreis solche Zeitungen, weil darin deren Versagen in Wort und Bild dokumentiert zu lesen wäre, was man ja auf keinen Fall eingestehen möchte.
Wenn Sozialrichter / Landessozialrichter beim Gang in ihre heiligen Hallen noch Obdachlose mit ihren Zeitungen sehen können, dann sollte es ihnen zu denken geben, dass innerhalb ihres Verantwortungsbereiches etwas nicht stimmen kann. Jedoch ist dieses Auge schon sehr politisch asozial blind geworden und das andere Auge schielt leider nur noch auf die monatlichen Besoldungslisten. Der Grund ist aber auch bekannt —> das ist Deutschland live –> wie es knechtet und entrechtet.