Ein Kinderarzt, der bei der U3-Untersuchung eines Kleinkindes eine Reifeverzögerung seiner Hüfte aufgrund einer falschen Diagnose verkannt hat, und ein Orthopäde, der zur späteren Abklärung eines auffälligen Gangbildes des Kindes röntgenologische Befunde oder Kontrollen im engen zeitlichen Abstand versäumt hat, haften dem Kind auf Schadensersatz. Das hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 31.10.2016 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Münster im Wesentlichen bestätigt.
Die Klägerin aus dem Kreis Ahaus wurde im Oktober 2009 mit einer reifeverzögerten Hüfte geboren und in der Folgezeit vom erstbeklagten Kinderarzt aus Coesfeld kinderärztlich betreut. Der Erstbeklagte bewertete bei der U3-Untersuchung im November 2009 die beiden Hüftgelenke als normal entwickelt. Nach der Beschreibung eines auffälligen Gangbildes durch die Eltern überwies der Erstbeklagte die Klägerin im Dezember 2010 an den zweitbeklagten Orthopäden aus dem Kreis Coesfeld. Dieser stellte zu Beginn des Jahres 2011 eine hinkende Gangart und weitere Auffälligkeiten beim Gehen fest und verordnete Krankengymnastik. Im Oktober 2011 hielt er das Gangbild für altersentsprechend. Im Februar 2012 diagnostizierte ein weiterer Orthopäde bei der Klägerin eine hohe Hüftgelenksluxation links, die im März 2012 operativ behandelt werden musste. Eine weitere Hüftoperation musste im September 2015 vorgenommen werden.
Mit der Begründung, die Beklagten hätten die Reifeverzögerung der Hüfte unzureichend untersucht bzw. behandelt, haben die Kindeseltern für die Klägerin von beiden Beklagten Schadensersatz verlangt, u.a. ein von beiden gemeinsam zu zahlendes Schmerzensgeld in Höhe von 65.000 Euro.
Die Schadensersatzklage war – mit Abstrichen bei der Höhe des Schmerzensgeldes – erfolgreich. Den bereits vom Landgericht festgestellten Haftungsgrund bestätigend hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Dem Erstbeklagten hat der von medizinischen Sachverständigen beratene Senat ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro auferlegt, das in Höhe von 20.000 Euro auch vom Zweitbeklagten zu zahlen ist.
Dem Erstbeklagten sei, so der Senat, bei der Auswertung des Hüftgelenkssonographiebefundes im Rahmen der U3-Untersuchung ein haftungsrelevanter Diagnosefehler unterlaufen. Er habe aufgrund einer unzureichenden Messung eine Fehlstellung des linken Hüftgelenks falsch klassifiziert und die Hüftgelenke fälschlicherweise als beidseits physiologisch normal entwickelt bewertet. Bei richtiger Messung zu diesem Zeitpunkt und anschließender konsequenter Behandlung der Reifeverzögerung wäre es zu einer vollständigen Ausreifung der Hüfte gekommen. Die Luxation und die sich anschließenden Operationen wären der Klägerin erspart geblieben.
Der Zweitbeklagte hafte, so der Senat, weil er es bei einem Wiedervorstellungstermin der Klägerin im Februar 2011 behandlungsfehlerhaft versäumt habe, in ausreichendem Umfang weitere Befunde zu erheben. Das hinkende Gangbild und diverse Auffälligkeiten beim Gehen hätten Anlass zu einer sofortigen röntgenologischen Abklärung der möglichen Ursachen oder einer engmaschigen Kontrolle gegeben. Beides habe der Zweitbeklagte unterlassen, so dass sich die Fehlbildung im linken Hüftgelenk der Klägerin bis zur im März 2012 festgestellten hohen Hüftluxation habe fortentwickeln können.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wirkten sich die tatsächlichen Beeinträchtigungen aus, die die Klägerin durch die Behandlungsfehler bei der Beklagten erlitten habe. Dabei sei beim Erstbeklagten schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen gewesen, dass die Erfolgschancen einer rein konservativen Therapie bei richtiger Behandlung der Klägerin im November 2009 hoch gewesen seien.
Quelle: Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 31.10.2016 (3 U 173/15)