Kommentierte Gerichtsentscheidungen – Teil 7

21. März 2019

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26. Februar 2019 (Az.: L 11 AS 474/17): Während einer 21tägigen Haftunterbrechung nach einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls zum Zwecke der Inanspruchnahme einer stationären Krankenbehandlung außerhalb des Strafvollzugs sowie einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation ist eine Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 1 SGB II, wenn der Antragsteller während dieses Zeitraums über kein Einkommen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II) verfügt, zu bejahen.

Bei der vom Krankenhaus bzw. der Rehabilitationsklinik für den Antragsteller kostenfrei zur Verfügung gestellten Vollverpflegung handelt es sich um keine Einnahme in Geld und damit um kein Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Mangels entsprechender Rechtsgrundlage und angesichts des bedarfsdeckenden sowie pauschalierenden Charakters des Regelbedarfs gemäß § 20 SGB II führt die im Krankenhaus und in der Rehabilitationsklinik erhaltene Vollverpflegung zu keinem Wegfall des Leistungsanspruchs gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit den §§ 19 ff. SGB II.

Im SGB II ist keine individuelle Bedarfsermittlung bzw. abweichende Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs vorgesehen. Eine Erwerbsfähigkeit entsprechend § 8 Abs. 1 SGB II ist dann zu verneinen, wenn bereits bei Beginn der stationären Behandlungsphase gesichert davon ausgegangen werden kann, dass mit einer Arbeitsunfähigkeit von länger als sechs Monaten zu rechnen ist. Das SGB II kennt keine Mindestgrenze der Hilfebedürftigkeit. Auch eine nur für einen Zeitraum von drei Wochen bestehende Hilfebedürftigkeit begründet einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II.

Bei einem nur dreiwöchigen Aufenthalt in (Rehabilitations-) Kliniken, dem von vornherein nicht der Plan einer wesentlich längeren Behandlungsdauer zugrunde lag, greift der aus § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II hervorgehende Anspruchsausschluss nicht (§ 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II). Es kann hier auch keine Addition der Zeiten der Inhaftierung (als Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II) mit den Zeiten der Klinikaufenthalte (als Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II) vertreten werden. Die Ausschlussgründe nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II bzw. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II sind jeweils getrennt zu betrachten.

Bei einer Unterbrechung der Freiheitsstrafe wird mit Wirkung der Aufnahme in die klinische Versorgung gemäß § 455 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StPO der Strafvollzug in der Weise unterbrochen, dass die Zeit dieses stationären Aufenthalts nicht auf den Freiheitsentzug angerechnet wird. Während dieser Behandlungsphase greift deshalb der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II nicht. Wenn es bei einem Straftäter an jeglichem Anknüpfungspunkt für die Aufrechterhaltung eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I nach dem Eintritt einer langjährigen Haftstrafe fehlt, ist der Ort, in dem sich die JVA befindet, als der für die Zuständigkeit nach § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB II maßgebliche gewöhnliche Aufenthaltsort aufzufassen. Dies gilt gerade dann, wenn von vornherein feststeht, dass der Strafvollzug unmittelbar nach dem Abschluss der notwendigen stationären Behandlungsphase dort wieder fortgesetzt wird.

Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 13. Februar 2019 (Az.: S 7 AS 1912/17):

Zur Qualifizierung des von einem Jobcenter zur Bestimmung der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgelegten „schlüssigen Konzepts“ als nicht berücksichtigungsfähig, wenn die diesem Papier zugrunde liegende Datenerhebung in wesentlichen Teilen nicht valide und hinsichtlich der vom SGB II-Träger angesetzten Bruttokaltmiete für Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaften im Wohnsegment von 45 bis ca. 60 qm im Vergleichsgebiet nicht ausreichend Wohnraum vorhanden ist.

Bei insgesamt 9.75 in Betracht kommenden Wohnungsangeboten pro Halbjahr besteht für bedürftige Personen nahezu keine Möglichkeit, angemessenen Wohnraum zu finden.

Behördlicherseits hier vertretene Mutmaßungen genügen nicht den an eine kontrollierte Methodenvielfalt zu stellenden Anforderungen und sind – ohne eine tatsächlich ausgewiesene Datengrundlage – ohne Benennung eines konkreten Faktors nicht überprüfbar und deshalb bei der Frage der tatsächlichen Verfügbarkeit von Wohnraum nicht zu berücksichtigen. Hier müssen konkrete Wohnungsangebote auf dem allgemeinen Markt nachweisbar sein. Dieses tatsächliche Angebot von geeignetem Wohnraum hat der Verwender des „schlüssigen Konzepts“ stets in nachvollziehbarer und nachprüfbarer Form zu dokumentieren.

Wenn dies nicht der Fall ist, d. h. das vom SGB II-Träger vorgetragene Konzept in sich gerade nicht als schlüssig aufgefasst zu werden hat und damit nicht anwendbar ist, dann bilden die Tabellenwerte zu § 12 WoGG eine Angemessenheitsobergrenze (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) im Sinne einer Deckelung, wo aber hier noch ein „Sicherheitszuschlag“ in Höhe von 10 v. H. anerkannt zu werden hat.

Sozialgericht Stade, Beschluss vom 6. März 2019 (Az.: S 19 AY 1/19.ER):

Ein kommunaler Träger bei der Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG die in § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylbLG festgeschriebene Leistungsanpassung bei der Leistungsberechnung stets zu berücksichtigen. Diese Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Diese Leistungserhöhung ist an die Anpassung der Regelbedarfe nach dem SGB XII (§ 28a SGB XII) gekoppelt.

Es bedarf hier keiner gesonderten, vorherigen Entscheidung des Gesetz- oder Verordnungsgebers. § 3 Abs. 4 AsylbLG gibt die Berechnung zur Erhöhung direkt vor, weshalb an dieser Stelle keine zusätzliche, wesentliche Entscheidung durch das oder aufgrund des Gesetzes zu erfolgen hat. Bis zu einer Neufestsetzung der Bedarfe gemäß § 3 Abs. 5 AsylbLG ist von den kommunalen Trägern die gesetzlich vorgeschriebene Erhöhung entsprechend § 3 Abs. 4 AsylbLG durchzuführen.

Quelle: Kommentar Dr. Manfred Hammel

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