Bundessozialgericht – Sitzung vom 26. September 2017

26. September 2017

1) Der Senat hat die Revision der beklagten Krankenkasse (KK) zurückgewiesen. Die Vorinstanzen haben sie zu Recht verurteilt, der Klägerin die beantragte zweischrittige stationäre Liposuktion als Sachleistung zu gewähren. Der Anspruch besteht kraft Genehmigungsfiktion. Deren Voraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere stellte die Klägerin einen hinreichend bestimmten fiktionsfähigen Antrag.

Die Beklagte entschied hierüber nicht innerhalb der gesetzlichen Fünf-Wochen-Frist, sondern erst über zwei Monate nach Antragstellung. Sie führte bis dahin auch nicht wirksam eine Fristverlängerung herbei. Die Klägerin durfte die Liposuktion für erforderlich halten.

SG Speyer
LSG Rheinland-Pfalz
Bundessozialgericht

2) Der Senat hat die Revision der beklagten KK zurückgewiesen. Das LSG hat sie zu Recht verurteilt, dem Kläger 1630,10 Euro Kosten einer radiofrequenzinduzierten Thermotherapie der Stammvenenerkrankung zu erstatten. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind kraft Genehmigungsfiktion erfüllt. Insbesondere entschied die Beklagte über den hinreichend bestimmten fiktionsfähigen Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen. Sie unterrichtete den Kläger erst später von der Beauftragung des MDK. Der Kläger durfte die Therapie für erforderlich halten und war einem wirksamen Vergütungsanspruch ausgesetzt.

SG Speyer
LSG Rheinland-Pfalz
Bundessozialgericht

3)Der Senat hat die Revision der klagenden Rundfunkanstalt zurückgewiesen. Zu Recht hat das LSG die Klage abgewiesen. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund verpflichtete rechtmäßig den Kläger, 198 881,14 Euro Umlage U2 für Mutterschaftsaufwendungen für die Zeit von 2006 bis 2008 zu zahlen. Der Kläger musste die Entgelte seiner vermeintlichen “freien Mitarbeiter” in die Umlage einbeziehen. Er hatte sie als Angestellte gemeldet und von ihrem Bruttolohn Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Er dokumentierte keine tatsächlichen Umstände, welche Umlagefreiheit belegten. Die Mitarbeiter waren abhängig Beschäftigte und im arbeitsrechtlichen Sinne Arbeitnehmer. Die verfassungsrechtlich verbürgte Rundfunkfreiheit steht dem nicht entgegen. Die Beklagte schätzte die Umlage rechtmäßig durch Summenbescheid: Der Kläger konnte bei der Betriebsprüfung keine Aufzeichnungen über die Einmalzahlungen für die Jahre 2006 bis 2008 vorweisen, Einzelermittlungen hätten unverhältnismäßig großen Aufwand verursacht und es drohten keine Nachteile für die Arbeitnehmer. Die Beklagte wies zutreffend auf die Rechtslage hin, der Kläger müsse seine Abrechnung rückwirkend ab 2009 korrigieren.

SG Frankfurt/Main
Hessisches LSG
Bundessozialgericht

4) Der Senat hat auf die Revision der beklagten KK die vorinstanzlichen Urteile aufgehoben und die Klage abzuweisen. Die klagende Krankenhausträgerin hat keinen Anspruch auf Zahlung weiterer Krankenhausvergütung. Ihr unstreitiger Anspruch auf Zahlung von 1662,75 Euro erlosch, weil die Beklagte mit ihrem Erstattungsanspruch wegen Überzahlung von Vergütung aufrechnete. Die Überzahlung entstand, weil die Klägerin die höher vergütete DRG E71A nicht abrechnen durfte. Sie durfte die Prozedur mit OPS 1-430.2 (endoskopische Biopsie an respiratorischen Organen: Lunge) nicht kodieren, weil sie weder Lungengewebe entnahm noch diese nicht vollendete Prozedur gleichwohl kodieren durfte. Die erfolgte Biopsie von Bronchusgewebe aus der Oberlappencarina erfüllte nur die Voraussetzungen des OPS 1-430.1 und der vergüteten DRG E71B.

SG Hamburg
LSG Hamburg
Bundessozialgericht

5) Der erkennende Senat legt dem Großen Senat des BSG folgende Rechtsfragen wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung vor:

1. Muss die Begründung einer zugelassenen Revision, mit der keine Verfahrensmängel gerügt werden, Tatsachen bezeichnen, die den gerügten Mangel ergeben, insbesondere die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen angeben, um den Anforderungen der Regelung des § 164 Abs 2 S 3 SGG zu genügen?

2. Erfordert die Begründung einer zugelassenen Revision, mit der keine Verfahrensmängel gerügt werden, nach der Regelung des § 164 Abs 2 S 3 SGG, dass sie die Gründe aufzeigt, die nach Auffassung des Revisionsklägers aufgrund einer Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung das Urteil unrichtig erscheinen lassen, ohne eigens Tatsachen zu bezeichnen, insbesondere ohne die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen anzugeben?

Die Rechtsfragen sind als prozessuales “Querschnittsrecht” von herausgehobener Bedeutung. Verschiedene Senate des BSG haben bisher die Anforderungen an die Begründung einer zugelassenen Revision, mit der keine Verfahrensmängel gerügt werden, in vielfältiger Weise unterschiedlich beantwortet, teilweise in tragenden Gründen, teilweise in obiter dicta. Die hieraus erwachsende Gefahr für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung rechtfertigt es, den Großen Senat unmittelbar anzurufen, ohne vorab bei allen anderen Senaten wegen Divergenz anzufragen. Die Rechtsfragen sind für das Verfahren des 1. Senats entscheidungserheblich. Er beabsichtigt, in der Sache zu entscheiden. Dies setzt voraus, dass – wie der 1. Senat für zutreffend hält – die zweite Rechtsfrage zu bejahen, die erste Rechtsfrage aber zu verneinen ist.

SG Ulm
LSG Baden-Württemberg

Quelle: Bundessozialgericht

Print Friendly, PDF & Email


Weitere Meldungen: